Der amerikanische Kongress will dem Bau von Atomkraftwerken in den Vereinigten Staaten einen neuen Schub verleihen. Die Abgeordneten verabschiedeten den Advance Act, der die zuständige Genehmigungsbehörde Nuclear Regulatory Commission grundlegend modernisiert und die Genehmigungsverfahren beschleunigt. Der Senat stimmte am Dienstagabend mit großer Mehrheit in seltener überparteilicher Harmonie für das Gesetz. Die USA fürchten, gegenüber China als Entwickler neuer Kernkraftwerken ins Hintertreffen zu geraten und damit auch Zugang zu anderen Ländern zu verlieren, in denen die chinesische Regierung den Bau von Reaktoren unterstützt.
Die US-Regierung stellt sich zudem auf dramatisch wachsenden Energiebedarf von neuen Rechenzentren ein, die speziell Anwendungen der Künstlichen Intelligenz -Technologie stützen. Die Investmentbank Goldman Sachs schätzt, dass Rechenzentren 2030 rund 8 Prozent der amerikanischen Stromproduktion beanspruchen. Das ist ein gewaltiger Sprung innerhalb von sechs Jahren. Aktuell verbrauchen Rechenzentren gerade 3 Prozent. Energieministerin Jennifer Granholm hält den Bau von 200 zusätzlichen Atomreaktoren bis zum Jahr 2050 für erforderlich, um die Klimaziele der USA zu erreichen.
Das Gesetz, das Präsident Joe Biden in diesen Tagen durch Unterschrift rechtskräftig machen will, senkt für Entwickler neuer Kernkraftwerke die Genehmigungsgebühren. Es soll deutlich einfacher werden, an bestehenden Standorten zusätzliche Reaktoren zu errichten. Das Gesetz erleichtert der Zulassungsbehörde die Einstellung von Spezialisten und fördert die internationale Zusammenarbeit der Nuclear Regulatory Commission mit dem Ziel, den Export amerikanischer Kernkrafttechnologie zu stimulieren. Generell bekommt die Behörde den Auftrag, ihren Daseinszweck neu zu formulieren. Die Pflicht, die Bürger vor den Gefahren von Kernkraftwerken zu schützen, wird ergänzt um die Pflicht, unnötige Maßnahmen zu vermeiden, die die Ausbreitung von Atomenergie behindern und damit ihren Nutzen für die Gesellschaft limitieren.
Bisherige Versuche scheiterten
Hauptautorin des Gesetzes ist die Senatorin Shelley Moore Capito aus dem für Kohleförderung bekannten Bundesstaat West-Virgina. Nach ihren Worten liefert Kernkraft 20 Prozent des Strombedarfs der USA, und zwar ohne Emissionen und zuverlässig rund um die Uhr. In den USA sind 54 Kernkraftwerke mit 93 Reaktoren aktiv. Die jüngsten zwei Reaktoren gingen 2023 und dieses Jahr in Georgia in Betrieb. Im Schnitt ist die amerikanische Reaktorflotte 40 Jahre alt. Trotz der Bestrebungen von Investoren, Unternehmensgründern und Politikern ist aktuell kein großes Atomkraftwerk in der Pipeline. Tatsächlich ist die Flotte der Reaktoren von 110 am Höchststand auf 93 zurückgegangen.
In den Siebzigerjahren stoppte die Expansion, weil die Nachfrage nach Strom nicht mehr so schnell stieg und in der Bevölkerung die Angst vor Radioaktivität und Reaktorkatastrophen wuchs. Der Vorfall in Harrisburg, Pennsylvania, bei dem ein Reaktor des Three Mile Island-Kraftwerks eine partielle Kernschmelze erlebte, beförderte die Sorgen und den politischen Widerstand. Versuche, das Kernenergie-Programm in diesem Jahrhundert zu reanimieren als Reaktion auf die Klimaerwärmung stockten, weil eingeleitete Projekte unter dramatischen Kostenüberschreitungen litten und speziell die Bergbaumethode des Frackings plötzlich die Verbrennung von Gas zur Stromgewinnung wirtschaftlich attraktiv machte. Dazu kam der Ausbau der kostengünstigen Erneuerbaren Energien, die die Wirtschaftlichkeit von Atomkraftwerken gefährdeten. In der Folge wurden Reaktoren geschlossen und nur zwei neue eröffnet in den letzten Jahren. Die großen Kostenüberschreitungen für die beiden jüngsten Reaktoren trugen überdies dazu bei, dass Energiekonzerne Aufträge für neue Reaktoren zurückzogen.
Es gibt aber auch Fortschritte für die Atomindustrie: Vor wenigen Tagen begann in Kemmerer, Wyoming auf dem Gelände eines alten Kohlekraftwerks der Bau eines neuen Reaktors, der mit einer neuartigen Kühltechnik mit flüssigem Salz auf sich aufmerksam macht und zudem erschwinglich sein soll. Microsoft-Gründer Bill Gates ist der Investor hinter dem Projekt über sein Energieunternehmen Terrapower. In Betrieb geht der Reaktor 2030, wenn alles wie geplant läuft.
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